"Mir wurden die Augen verbunden und ich war frei."
Stell Dir vor,
- Du bist in einem großen Saal mit nur 20 Menschen.
- Die Wände und Stützpfosten sind mit Schaumstoffmatten ausgekleidet, damit Du Dich unter gar keinen Umständen verletzen kannst.
- Um Dich herum sind 5 große und leistungsstarke Boxen aufgebaut.
- In dem Saal ist es absolut dunkel.
Was fühlst Du,
- wenn Du die Augen verbunden bekommst.
- wenn alle anderen auch die Augen verbunden bekommen.
- wenn die Aufpasser Nachtsichtgeräte tragen und Dich deshalb nicht persönlich identifizieren können.
Was passiert,
- wenn plötzlich aus allen Boxen um Dich herum Rhythmen zu Dir dringen.
- wenn Du absolut verlässlich unbeobachtet bist und kein Mensch sieht, was Du tust?
Um Dich herum nur Rhythmus. Laut und Dich vollständig umgebend.
Ich kann es Dir sagen: Du bist frei! Auf einer emotionalen Ebene, die tiefer geht, als Dein Kopf erfasst.
Frei, wie Du noch nie warst, weil Du nie wusstest, wie sehr Du Dich unter den Blicken der Mitmenschen zurückhälst.
Dir wird die lähmende Wirkung Deiner Angst bewusst, bewertet zu werden in dem was Du bist.
Dir wird der Stress bewusst, mit dem Du versuchst, Verurteilungen auszuweichen und zu "passen".
Du spürst die Last der öffentlichen Meinung.
Du spürst die Leine, an die Du Dich selbst gelegt hast. Ohne es zu wissen.
Und dann plötzlich darfst Du. Weil niemand Dich sieht. Und keiner kann pfuschen. Die starken Rhythmen holen Dich ab, fahren Dir in die Glieder und lassen Dich alles rauszappeln, was drin steckt. Egal wie. Niemand wird lachen. Niemand wird Dich loben. Es ist nur für Dich. Endlich mal. Endlich mal.
Und dann merkst Du, dass hinter den geschlossenen Lidern Bilder auftauchen, die Du nachtanzt. Du fängst an zu experimentieren. Du siehst Deinen Körper vor dem inneren Auge und findest Gefallen daran, ihn neue Sachen ausprobieren zu lassen, weil es sich gerade gut anfühlt. Du fängst an, Dich in Deinem Freiraum unverschämt raumgreifend auszubreiten, loszulassen, von der Leine zu gehen. Und es passiert noch eine ganze Menge mehr.
Dein Raum gehört Dir und Du bist sicher.
Und Du merkst: ...zum allerersten Mal.
"Sie haben den Sinn nicht verstanden"
Dieses oben beschriebene eindringliche Erlebnis hatte ich vor vielen Jahren in Holland, als ich zu einem Trancedance eingeladen wurde - ohne jegliche Vorstellung davon, was das bedeutet.
Berauscht vom Durchdringen zum eigenen Sein besuchte ich in den darauffolgenden Jahren immer wieder mal Trancedances bei verschiedenen Anbietern, darunter auch in Köln. Doch sie alle verstanden nicht, worum es beim Trancedance wirklich geht und wie man die Voraussetzungen konsequent schaffen muss.
Es war teilweise so katastrophal aufgezogen, dass ich inzwischen keine weiteren Anläufe mehr gewagt habe.
- Ich habe Anbieter erlebt, die mit nur einer mittleren JBL-Box anrückten, die vor sich hinschepperte und Tinnitus erzeugte.
- Ich habe Anbieter erlebt, die im Anschluss ihre Beobachtungen(!) zu meinen Bewegungen - öffentlich - analysieren wollten.
- Ich habe Anbieter erlebt, die nur weiße Vorhänge zuzogen und damit Tageslicht reinließen, was selbst unter Augenbinden ein Sehenkönnen ermöglicht. Sie verteilten Augenbinden, die nicht dicht waren. Das Erlebnis von Schutz vor beobachtenden Blicken anderer war vollständig aufgehoben.
- Ein Anbieter spielte seine Lieblings-Popsongs ab, von denen er dachte, sie seien meditativ. Darunter ein Stück von Modern Talking.
- Ein Anbieter unterbrach mitten in der Musik zu einer Ausruhrunde und zwischen den Stücken gab es sekundenlanges Warten. Man stürzte jäh von einer Sekunde zur anderen zurück in die Realität.
- Ein anderer ermutigte zu geräuschstarkem Ausdruck, so dass ich umgeben war von stöhnenden, singenden, keuchenden, fauchenden, quiekenden Menschen, die allesamt verhinderten, dass ich mich selbst noch habe innen hören können.
Manche vereinten auch alle Patzer in einer Person.
"So sollte ein trancedance aufgezogen sein."
- Es muss absolut dunkel sein im Raum.
- Jeder muss eine Augenbinde tragen.
- Die Aufpasser müssen Nachtsichtgeräte tragen.
Denn sonst geht die Sicherheit des totalen Unbeobachtetseins verloren.
- Der Raum muss groß sein und es dürfen nicht zu viele Teilnehmer sein.
Denn sonst bist Du doch wieder eingeschränkt.
- Die Musik muss von allen Seiten kommen und muss von hoher Klang-Qualität sein.
- Die Musik darf keinen Gesang enthalten. Denn egal welche - es ist nicht Deine Stimme.
- Die Musik muss laut sein und von sich aufbauenden fortlaufenden Rhythmen bestimmt sein.
- Die Musik muss Dich vollständig umhüllen, so dass alles in Dir in Klang aufgeht.
Denn sonst bleibst Du im Kopf und wirst Du nicht weggetragen.
- Es muss eine klare Regel geben, dass niemand stöhnt, redet, singt oder sich hörbar auslebt.
Denn sonst wird Deine Aufmerksamkeit von Dir abgezogen und Du bist beim anderen.
Und dort sollst Du nicht sein.
Ich wünsche mir so sehr, noch mal ein wirklich professionell aufgezogenes trancedance mitmachen zu dürfen.
Oder vielleicht sollte ich einfach mal selbst eins organisieren?
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Gabi (Dienstag, 04 Mai 2021 21:24)
Liebe Sandra,
Du überrascht mich immer wieder. TranceDance- ja sehr berührend, intensiv und einzigartig.
Und ich hab es sogar gelernt und kann es anbieten �.
Bis ganz bald - fühl dich umarmt
Gabi
Sandra (Mittwoch, 05 Mai 2021 10:07)
Ach, die Überraschung ist ganz auf meiner Seite????! Dann vergiss bloss nicht, mich einzuladen, wenn es losgeht. juhuuuuu
Matthias Schmeier (Mittwoch, 05 Mai 2021 11:47)
Wird das in Köln irgendwo angeboten? Meine natürlich nach Corona.
Grüße
Sandra (Mittwoch, 05 Mai 2021 12:01)
...bestimmt wieder. Google einfach mal, bzw. vielleicht hören wir bald von Gabi ;)